44 – Alltag? – noch mehr Entrümpeln

Gestern im Laufe des Tages, in einigen kleinen Situationen, wurde mir alles ein wenig zu viel.
Das aufräumen und wegschmeißen, aussortieren und Platz schaffen ging mir weiterhin sehr leicht von der Hand. Zu gern hätte ich im Nachhinein natürlich Fotos vom Vorher-Nachher-Zustand der Wohnung gemacht. Daran habe ich natürlich aber nicht gedacht, als ich am Freitag auf die Idee kam. Kann ja keiner ahnen, dass das solche Formen annehmen würde! Vom Arbeitszimmer war eigentlich nur noch mein Bastelschreibtisch samt Regalen sowie der LARP-Kram undurchforstet und die komplette Abstellkammer und Küche sowie das Wohnzimmer waren quasi vom Gerümpel und natürlich vom Müll entkernt. Ich weiß nicht, wie viel an Volumen letztendlich zum Wegschmeißen zusammengekommen ist, aber dass ich im Arbeitszimmer drei Regalfächer und im Wohnzimmer noch eineinhalb frei habe, wo vorher alles gestopft und gedrängt stand, spricht Bände!
Aber ich fühlte mich von meinem Freund eingeengt, ohne dass er überhaupt irgendetwas getan oder nicht getan hätte. Er half mir sowohl körperlich beim Schleppen von Zeug als auch durch seine Gegenwart, indem ich ihm das, was ich gerade in der Minute zu räumen gedachte, mit ihm durchsprechen oder auch einfach nur erzählen konnte und er diesbezüglich seine Meinung äußerte. Ich glaube nicht, dass ich so viel in der Hinsicht getan hätte, wenn ich nicht einen stolzen Begleiter dabei gehabt hätte.
Aber seine Gegenwart engte mich in der Form ein, dass mir durch das Cortison neben meinem sowieso schon gesteigerten Hitzeempfinden zusätzlich noch sehr warm war und er hingegen als Frostbeule, die er nun mal ist, überall in der Wohnung am liebsten auf der voll aufgedrehten Heizung gesessen hätte.
Normalerweise ist er quängelig, wenn er Hunger hat, aber in den letzten Tagen war er bezüglich des Frierens fast unausstehlich. Nicht, dass er mir Vorwürfe gemacht hätte, da er die Situation ja durchaus wahrgenommen hatte, da ich ja im T-Shirt durch die Wohnung räumte, während er mit Pullover und dicker Fleece-Decke eingemummelt hinterher schlurfte oder sich aufs Sofa kauerte.
Auch das übliche Vorgehen, lange heiß zu duschen und vor allem genug zu essen, was ihn sonst wieder auf Temperatur bringt, verpuffte ohne Ergebnis.
In der Konsequenz fühlte ich mich schlecht, weil ich es ihm nicht ermöglichte, die Wohnung noch mehr zu heizen, und auch wenn ich durch zur Verfügung stellen eines elektrischen Heizkissens und häufiger Wärmung seiner kalten Hände alles mögliche unternahm, um ihn irgendwie zu unterstützen, half das alles nichts.
Ich hingegen merkte natürlich, dass mein Gesicht glühte und ich merkte auch, dass mein Kreislauf die Hitze gar nicht gut fand.
Wir trafen uns letztendlich irgendwo in der Mitte, aber ich merkte jedes Mal, wenn ich ein Zimmer verließ und dafür logischerweise die Tür öffnete, wie mich der kühle Luftzug aus dem Flug erreichte und genoss es, während hinter mir natürlich die Bitte erklang, die Tür doch gleich wieder zu schließen.
Auf eine gewisse Art und Weise, die ich nicht beschreiben kann, störte es mich immens, auch wenn er einfach genau so wenig dafür konnte, dass ihm kalt war, wie mir, dass mir warm war. Einen solchen Disput fechte ich ja in abgeschwächter Form mit den Kollegen in der Arbeit auch ab und an aus. Im Sommer, wenn alle im Kleidchen rumlaufen und sich über das großartige Wetter freuen, sterbe ich tausend Tode, denn mehr als ausziehen kann ich mich nicht – und so wenig, dass mir nicht mehr zu warm wäre, MÖCHTE ich nicht ausziehen. Ich weiß auch nicht, ob mir nicht auch nackt noch zu warm wäre. Schlimmer wird es jedoch in den Übergangszeiten vom Frühling oder zum Herbst – und spätestens im Winter. Im regulären Fall trage ich ab etwa 5 bis 7 Grad plus keine Jacke mehr und ab 12 Grad keinen Pullover mehr. Mit Abweichungen, aber zumindest wenn ich nicht vorhabe, lange spazieren zu gehen sondern lediglich aus der Haustür raus ins Auto falle, aus dem Auto dann raus zum Arbeitsplatz und dann auf dem Rückweg höchstens noch irgendwo einkaufen muss. Meine Heizkosten zuhause belaufen sich auf ein Minimum und ich fühle mich bei einer Zimmertemperatur von unter 18 Grad am wohlsten. Wenn mir also jetzt noch jemand Cortison gibt, bedeutet das, dass sich diese Skala noch einmal verschiebt. Unabhängig davon freue ich mich auch schon wieder auf das Tragen der Stützstrümpfe im Sommer. NICHT.
Aber ich kann nicht aus meiner Haut und würde alles dafür geben, den umgekehrten Fall zu erleben (naja gut, nicht alles, aber ich würde den anderen Fall deutlich besser finden). Ich bin der Meinung, wärmer anziehen kann man sich immer. Oder mehr bewegen. Oder beides. Aber gegen Wärme kann man selbst realistisch nichts machen. Und nein, ich möchte mich nicht vor oder in einen geöffneten Kühlschrank setzen.

Zu dieser Situation kam, dass ich mich jetzt nach Rückkehr aus dem Krankenhaus einfach durch seine Gegenwart auch nicht sonderlich sinnvoll habe zum Schreiben zurückziehen können. Das baute einen Druck auf, für den NaNoWriMo doch genug Text auf die digitale Seite zu bringen, der natürlich mit jedem Tag, an dem ich nicht oder zu wenig schrieb, anwuchs. Auch wenn ich mich einmal zwischendurch wieder habe fast auf Stand hocharbeiten können, reichte das leider nicht, um zufrieden zu sein. Ich kann nicht schreiben, wenn wir in einem Raum sind – oder zumindest nicht wenn er hinter mir sitzt und mir theoretisch auf den Text sehen könnte, wie das im Arbeitszimmer der Fall wäre. Ich kenne aus eigener Erfahrung, dass man als unbeteiligter Dritter so gut wie nie Text auf einem Computermonitor erkennen oder gar inhaltlich wahrnehmen kann, aber ich fühle mich trotzdem immer besonders unwohl und beobachtet. Ich kann nicht frei schreiben und manchmal aufgrund von Ablenkung auch nicht ungestört denken, wenn jemand anderes im Raum ist. Wenn ich in den Praktika für das Diplomstudium mit anderen Mitarbeitern wie üblich zusammen in einem Raum gesessen habe, war das schon fürchterlich, selbst wenn sie mir gegenüber und nicht hinter mir saßen. Und jetzt bei einem solch persönlichen Text und Thema, das ihn ja auch betrifft, ist das natürlich noch ungleich schwerer, auch wenn er an und für sich schon weiß, worüber ich schreibe. Und dann mache ich ihn in Gedanken dafür verantwortlich, dass ich nichts geschrieben habe. Vermutlich hätte ich ihn auch einfach bitten können, mich mal für zwei oder drei Stunden im Arbeitszimmer allein zu lassen. Aber das hätte wieder bedeutet, ich hätte im Vorfeld schon gewusst, dass diese Situation auf mich warten würde. Keine Ahnung. Alles schwierig.
Gestern abend nach einiger weiterer Rumräumeritis hatte ich, als ich gesehen habe, dass er noch an seinem Laptop schrieb und die Vorbereitungen für die Durchführung einer Geburtstagsparty zum 30. Geburtstag eines guten Freundes anging, mich gegen elf bettfertig gemacht, um noch ein Dreiviertelstündchen zu lesen und die Kühle des Bettes für mich allein und die Berührungslosigkeit einer sich bewegenden Bettdecke auf meiner Haut zu genießen, aber ihn natürlich nicht ausdrücklich gebeten, mich noch einige Zeit allein zu lassen. Da mein Freund aber ein sehr großes Kuschelbedürfnis hat und außerdem sowieso grundsätzlich sehr gern bei mir ist, war es nur eine Frage der Zeit, bis er sich zu mir legte. Als ich ihm meine Gedanken behutsam schilderte, meinte er, er hätte aber den Rechner auch schon runter gefahren und erhoffe sich jetzt vom Bett eine wärmendere Stelle als im Arbeitszimmer. Aber er verhielt sich tatsächlich fast bewegungslos, so dass ich noch ein wenig Ruhe hatte. Dazu muss man wissen, dass er bewusst und unbewusst jede Situation sucht und ausnutzt, die sich ihm bietet, um mich in irgendeiner Form zu kuscheln und mir zu zeigen, wie lieb er mich hat. Das ist eine großartige liebenswerte Eigenschaft und ich liebe ihn unter anderem auch dafür, bin aber selbst nicht der große Kuscheltyp und mag nachts lieber separat auf meiner Seite des Bettes schlafen, unter anderem wegen der Hitze und der Berührungen an der Hautoberfläche, die ja deutlich unangenehmer für mich sind, je schwächer und oberflächlicher sie mich erreichen. Diese Gesamtsituation schließlich war es, die mich bereits gestern hat denken lassen, dass ich eigentlich das erste Mal während der letzten dreieinhalb Jahre nicht traurig darüber bin, wenn er heute nach Hause fährt.
Und dieser Gedanke setzte sich heute fort.
Nach einer an sich einigermaßen erholsamen Nacht blieben wir heute früh nach dem extra dafür gestellten Weckerklingeln um acht Uhr noch eine Stunde halb dösend im Bett liegen, während unsere Füße miteinander kuschelten. Diese Stunde habe ich unheimlich genossen, da ich wach genug war, um nicht weiter schlafen zu wollen, aber eine so bequeme Haltung gefunden hatte, dass ich ohne weiteres noch seine Nähe genießen konnte, die mir sonst morgens oft auch zu viel wird, weil ich mich nicht wohl fühle oder falsch liege, was ich dann aber nicht ändern kann, weil ich keine bequemere Haltung als Aufstehen fände.
Als ich das Gefühl dann schließlich nicht mehr verdrängen konnte, auf Klo zu müssen, stand ich auf, während er noch in seinem Smartphone das Internet leer las. Nachdem ich mich gewaschen und angezogen hatte, fing ich an, in aller Seelenruhe in Etappen das Bad aus- und aufzuräumen. Auch das war an sich von einem großen Erfolg gekrönt, wurde aber unterbrochen dadurch, dass mein Freund sich logischerweise ja auch irgendwann mal fertig machen wollte.
Diese Unterbrechung nahm ich, auch wenn es weitab von Absicht oder auch nur Rücksichtslosigkeit war, als unglaublich störend war und konnte nicht verhindern, dass ich ihn ein klitzekleines bisschen persönlich dafür verantwortlich machte.
Derzeit werden im Fernsehen täglich die Folgen einer Zeichentrickserie ausgestrahlt, die mein Freund entdeckt und mir empfohlen hat und die ich seither wie schon bereits gesagt auch mit meinem Festplattenrekorder zwecks Archivierung auf DVD aufzeichne. Jetzt in diesen Tagen gab und gibt es zwei Specials dazu, die wir gern noch zusammen sehen wollten, bevor er sich wieder auf den Rückweg nach Hause machte, aber auch das gemeinsame Fernsehen habe ich in den letzten zwei Tagen wieder als Last empfunden. Auch hierzu muss man wissen, dass ich an sich niemand bin, der gern fern sieht oder gar ins Kino geht. Es gibt Sachen, die ich mir gern anschaue, und es gibt auch einige Dinge, die ich gern während wir uns unser Abendessen schmecken lassen, nebenbei plätschernd schauen kann, aber jetzt jeden Tag drei oder vier Folgen dieser Serie zu sehen war mir auch zu viel. Ich hatte zudem auch nicht den Eindruck, neben dem Aufräumen und erledigen von Dingen irgendeine Pause zu brauchen, während mein Freund natürlich neben mir saß, bibberte und kuscheln wollte. Es war nicht so, dass ich es mit dem Aufräumen weiter eilig gehabt hätte, denn nach wie vor folgte ich keinem Plan und räumte mal hier und mal dort, war aber einfach viel motivierter als zum stillsitzen.
Während ich also etwas machte, was mir halt einfach nur weniger Spaß brachte als etwas anderes, sorgte er sich rührend darum, dass sonst mit Ausnahme der Temperatur alles zu meiner Zufriedenheit war. Er machte Essen und Cocktails, schleppte Zeug, kümmerte sich darum, eines meiner verbastelten My little Ponys zu fotografieren, sorgte sich um die Autoreparatur und um die Neuanschaffung einer Waschmaschine, weil meine seit einigen Wochen Wasser durch die Waschmittelschublade rausdrückt, während sie läuft, richtete die Verbindung meines Smartphones als Router für meinen Laptop endgültig fest für die Verwendung ohne dass ein WLAN notwendig wäre ein, falls weitere Krankenhausaufenthalte auf mich warten sollten, und war absolut aufmerksam und hilfsbereit wie eigentlich immer.
Ich fühlte mich in der Folge so unglaublich ungeduldig, rücksichtslos und ausnutzend, dass ich mich deshalb gleich noch mal so viel ärgerte und all meine Kraft dran hängen musste, es nicht an ihm auszulassen.
Trotzdem sprach ich ihn mittags, etwa eineinhalb Stunden, bevor er fahren wollte bzw. musste, darauf an und entschuldigte mich für die letzten zweieinhalb Tage. Auf der einen Seite merkte ich, dass ihm teilweise, zumindest was das Kuscheln betraf, die gleichen Gedanken gekommen waren, auf der anderen Seite spürte ich aber auch, dass er es noch nicht so gesehen hatte wie ich, dass hier an einer Stelle was geknirscht hatte.
Ich bin meilenweit weg davon, eine Gefahr für unsere Beziehung zu sehen. Und vermutlich ist es auch völlig normal, dass man, gerade wenn man eigentlich eine Fernbeziehung führt und nun nach dreieinhalb Jahren das erste Mal einige Wochen fast am Stück aufeinander hockt und noch dazu die Situation bei mir ja eine ganz bescheuerte ist, sich irgendwann auf den Geist geht, aber ich will einfach nicht, dass dieser wunderbare großartige Mensch mir überhaupt je irgendwann auf den Geist geht! Er ist das beste in meinem Leben, der Lohn für all den Mist, den ich immer wieder mal ertragen muss. Und ironischerweise ist er doch auch derjenige, der mir gerade in meiner jetzigen Situation so unglaublich viel hilft!

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